Mittwoch, 18. Januar 2012

Handy klingelt

Geschrieben am 15.08.2009, gestern ausgegraben, heute hier gepostet.

I

Das Handy des Busfahrers klingelt.

Es ist zehn Uhr am Morgen. Ich befinde mich auf dem Weg zur Vertragsunterzeichnung bei meinem zukünftigen Arbeitgeber. Genau, jenem, bei dem ich vor einigen Tagen Probearbeiten durfte. Hat das Wort Vertragsunterzeichnung nicht etwas verheißungsvolles? Klingt es nicht irgendwie nach dem Gehalt eines Managers? Leider ist dem in meinem Fall nicht so. In Grenzen wird sich meine Entlohnung halten. Eben so wie es heute üblich ist. Keiner Zahlt mehr als er unbedingt muss. Dann doch lieber weniger als vorgeschrieben. Würde man das nicht selber genauso machen. Manager zu sein hat doch, ebenso wie das Dasein als Abgeordneter, etwas für sich. Man kann sein Gehalt selber festlegen. Wobei ich sagen muss, das ein Abgeordneter psychologisch betrachtet bessere Karten hat. Bei ihm nennt man das Gehalt Diät, was niemals de Eindruck von “Zuviel” erwecken kann. Bei mir liegt die Sache ein wenig anders. Diät bekommt bei mir nur das Konto verordnet. Ob ich nun will oder nicht.
Was ich gerne hätte, das wäre eine Prämie. Wofür ich die bekomme ist mir eigentlich egal, Hauptsache es handelt sich um ein ordentliches Sümmchen. Was ich getan habe um sie zu verdienen werden einig jetzt fragen. Nichts, das scheint doch so üblich zu sein. Man macht nicht, und dafür wird man dann mit Geld überschüttet. Quasi als dank dafür das man wenigstens anwesend war. Finde ich nicht schlecht, das es ja kaum Arbeit macht nur anwesend zu sein. Das bekomme selbst ich hin. Einige der Fahrgäste aber leider nicht. Etwas weiter hinten klappt ein Kerl im Anzug seinen Laptop auf. Lautstärke auf Höchstleistung gedreht. Jeder im Bus bekommt mitgeteilt, das er erstens einen Laptop besitzt, zweitens anscheinend nicht anders kann als ihn fünf Minuten vor Ankunft auszupacken und dabei ein Gesicht zu machen, das uns sagen soll; “Seht her was ich habe, ihr armen Leute aber nicht.” Drittens weis jetzt jeder, durch die unverkennbare Startmelodie, das er Windows Benutzer ist. Arme Sau denke ich und freue mich schon auf das Bild, wenn er in, in nur wenigen Sekunden wieder in aller Eile zusammenpacken muss weil er in den Zug umsteigen muss. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht.


II

Das Handy des Busfahrers klingelt.

Neben mich setzt sich eine ältere Dame. Ihre Handtasche ist so gross wie ein Kartoffelsack und ähnlich ansehnlich. Sie beginnt darin zu wühlen. Ich frage mich, was der Mensch so alles Tagtäglich mit sich rumschleppen muss. Am liebsten würde ich sie fragen und mich über die Rechtfertigung des Ungetüms mit Namen Handtasche amüsieren, lasse es dann aber doch lieber, aus Angst, das es sich hierbei nicht wirklich um eine Handtasche handelt, sondern eher um eine Waffe. Wenn das Ding so schwer ist wie es aussieht möchte ich nicht derjenige sein, an welchem die Durchschlagskraft getestet wird. Endlich, nach langem Kramen und Suchen fördert sie einen Terminplaner zutage. Langsam und beinahe andächtig zieht sie den Kugelschreiber heraus und klappt den Planer auf. Sie beginnt konzentriert zu blättern. Fasziniert stelle ich fest, das sich in ihrem Planer kein einziger eingetragener Termin, eine Verabredung oder auch nur ein Geburtstag eingetragen ist. Sie blättert ihn einmal komplett durch, steckt den Kugelschreiber wieder in seine Halterung, schliesst den Planer und lässt ihn wieder in den Untiefen ihres Sackes verschwinden. Irgendwie tut die gute Frau mir leid.
Mir schräg gegenüber auf der anderen Seite des Buses am Gang sitzt ein junger Kerl. Kopf rasiert und poliert wie eine Bowlingkugel. Seine Kopfhaut glänzt so sehr, das ich mit dem Gedanken spiele mir die Sonnenbrille aufzusetzen. Er spricht in einer Sprache die ich nicht verstehe mit seinem Handy. Ich hoffe das das Handy in der Lage ist ihn zu verstehen, habe aber erhebliche Zweifel das dem so ist. Schließlich hat es eben mit einem Britney Spears Popsong Klingelton auf sich aufmerksam gemacht. Da ist Intelligenz und Verständnis eigentlich ausgeschlossen.
Wir nähern uns langsam der Endstation.


III

Das Handy des Busfahrers klingelt.

Der Banker mit dem Laptop wird so langsam ein wenig hektisch. Er versucht das Gerät irgendwie wieder in seine Tasche zu bekommen, was nicht so einfach zu sein scheint. Als Folge rutscht ihm die Tasche vom Schoss und trifft so auf dem Boden auf, das sie ihren kompletten der Öffentlichkeit Preis gibt. Er flucht, hebt die Tasche auf, lässt den Laptop in die leere Tasche gleiten und macht sich nun daran die Papiere, welche sich mittlerweile gut verteilt haben hinterher zu stopfen. Auf allen Vieren krabbelt er durch den Bus.
Der Bussfahrer geht genervt an sein Handy. Ich frage mich ob es der Sicherheit der Fahrgäste, also auch meiner, zuträglich ist, wenn er das Lenkrad von der Grösse eines Wagenrades lediglich mit einer Hand lenkt. Ich taste nach dem nicht vorhandene Sicherheitsgurt. Sicherheit. Ich rutsche tiefer in meinen Sitz, um das Elend nicht länger sehen zu müssen. Ob sie sich wohl erhöht, wenn man den Missstand nicht mehr sieht, ihn ignoriert, als nicht länger existent betrachtet? Dieses Vorgehen hat leicht was von kleinen Kindern, welche sich in der Hoffnung, das man sie nicht mehr sieht, wenn sie sich die Augen zu halten, sie also auch nicht länger etwas sehen. Kinder sind mit diesem Vorgehen glücklich. Ich bin es auch.
Der Fahrer legt das Handy wieder beiseite. Der Banker ist bei meiner Bankreihe angelangt. Leise bittet er mich, ob ich ihm nicht zwei dicht beschriebene Blätter reichen könnte die zu meinen Füssen liegen. Sein Gesicht sieht nah einer Kombination von Panik (die Haltestelle ist schon in Sichtweite) und peinlichem berührt sein aus.
Einige Bankreihen weiter vorne sitzt ein Teenager mit Blickrichtung zu mir. Den Gedanken ein Hallo Kitty T-Shirt mit Punk und Anarchie Buttons zu vereinen kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Sie lächelt mich an. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. Der Banker hat es geschafft. Die Tasche ist wieder bis zum bersten gefüllt. Schweissperlen haben sich auf seiner Stirn eingefunden. Er lockert sich die Krawatte und öffnet den obersten Knopf seines Hemdes. Sein Deo scheint auch versagt zu haben und dabei hat der Tag doch erst angefangen.
Der Bus kommt an der Haltestelle zum stehen. Wir steigen aus. Das Hallo Kitty T-Shirt geht vor mir und ich stelle fest, das sie einen netten Hintern hat. Der reist es dann aber auch nicht raus.


IV

Das Handy eines Passanten klingelt.

Auf dem Bahnsteig sticht mir eine Junge Dame ins Auge. Jeans - Hotpants, weises Kapuzenshirt, lange blonde Haare zu Pferdeschwanz gebunden, toller Körper, verlockendes Lächeln. Leider steigt sie in das falsche Abteil. Oder bin ich ins falsche gestiegen. Auf jeden Fall sitzen wir nicht im gleichen. Ist aber irgendwie auch egal, denn sie ist ja nicht das einzige gut aussehende weibliche, menschliche Lebewesen auf diesem Planeten. Planet, toll, ich sitze in einem Zug, was nicht der beste Weg ist den Planeten zu erkunden. Egal, ich hab anderes im Kopf als Frauen. Ich habe heute die Aufgabe über meine Zukunft zu entscheiden. Da gehen einem doch keine Frauen durch den Kopf. Nein, stimmt, sie kommen aus dem anderen Abteil. Sie, ich kann es kaum glauben, setzt sich mir gegenüber hin und lächelt einfach nur. Leicht debil sieht sie aus, wie sie da lächelnd aus dem Fenster schaut. Erinnerungen an ein Vorkommnis werden wach.
Vor einigen Jahren, ich sass auch gerade in einem Zug, welcher mich nach München bringen sollte. Ich hatte den letzten noch freien Platz im Zug ergattert und war in Grenzen stolz darauf. In Grenzen, weil ich mich in greifbarer Nähe zur Toilette befand. So lange sie keiner benutzt, nicht so schlimm, aber schier unmöglich während einer Fahrt von Stuttgart nach München. Es sollte auch nicht lange dauern bis der erste der Meinung war, er müsse jetzt dorthin. Als er die Tür wieder öffnete um mit hochrotem Kopf die Toilette wieder zu verlassen. Leider war er nicht das einzige was sich zum verlassen anschickte, denn hinter ihm her schlich ein Geruch, nein, Gestank, der uns unmissverständlich klarmachte, was auf dieser Toilette gerade stattgefunden hatte. Gerne hätte ich meine Tasche geschnappt und mir einen anderen Patz ausgesucht. Ging aber leider nicht. Mittlerweile war der Zug in einem Mase überfüllt, der es unmöglich machte sich durch ihn zu bewegen. Nach einer Stunde kam der nächste Besuch. Der üble Geruch hatte sich mittlerweile verzogen. Zwei Personen, bemüht nicht bemerkt zu werden, begaben sich in die Toilette. Ein Männlein und ein Weiblein. Das Grinsen jener Personen die mit mir hier verweilten sagte mir, das es unmöglich war sich hier und jetzt unbemerkt in die Toilette zu schleichen. Nur fünf Minuten später kamen sie wieder heraus. Erst er, dann sie, noch immer damit beschäftigt ihren Rock wieder dorthin zu ziehen wo er hingehörte. Selig bis Debil grinsten beide und jedem war klar, was gerade in der Toilette vorgegangen war.
Das Grinsen der Dame die mir jetzt gerade gegenüber sass erinnerte mich fatal an das Grinsen der Beiden von Damals.
Der Zug hält. Hier muss ich raus. Schade eigentlich, aber es lässt sich eben nicht ändern.

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